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Belletristik: Blauschmuck

Dieser Beitrag enthält eine Rezension (Selbst gekauft) Links Mehr dazu hier.

Es ist schon einige Wochen her, seit ich Blauschmuck von Katharina Winkler gelesen habe. Aber das Buch war so schwere Kost, dass ich erst einmal gar nicht sicher war, wie ich diese Rezension angehen solle. Die Autorin verwebt nämlich einen bezaubernden Schreibstil mit grausamen Erlebnissen (die leider auf einer wahren Geschichte beruhen). Mal war ich von den zauberhaften Worten begeistert, nur um im nächsten Moment wieder völlig zusammenzusacken, wenn deren Bedeutung richtig bei mir ankam.

Der Titel ist ein wunderbares Beispiel dafür: Mit „Blauschmuck“ werden nämlich nicht tatsächliche Schmuckstücke bezeichnet – sondern blaue Flecken, welche die Haut der Frauen tagein tagaus „schmücken“.

Der Inhalt

In diesem Buch begleitest Du Filiz eine Zeit lang auf ihrem Lebensweg. Als Kind lebt sie in einem kurdischen Dorf in der Türkei und schwärmt für den wenige Jahre älteren Yunus. Er verspricht ihr ein Leben im Westen – frei von den Zwängen ihrer Familie und insbesondere frei von ihrem strengen Vater. Das klingt für das Mädchen verlockend und sie heiratet ihn mit 15 Jahren heimlich. Leider ist dies jedoch nicht der Beginn einer märchenhaften Zukunft sondern derjenige eines unfassbar grausamen Alltags, den sie mit zahlreichen anderen Frauen in dieser Gegend teilt.

An dieser Stelle möchte ich schon einmal eine kurze Triggerwarnung einschieben – und zwar für alle möglichen vorstellbaren (und unvorstellbaren) Gewalttaten gegen Frauen.

Meine Meinung

Wie schon erwähnt – die Autorin hat einen absolut bezaubernden Schreibstil. Einnehmend, poetisch und gleichzeitig eindringlich und furchtbar. Er passt sich dem Rhythmus der Geschichte an, ist mal abgehakt, mal drängend und sorgt dafür, dass man das Buch kaum noch weglegen kann.

Es muss schön sein, im Bach zu baden. Ich stehe am Ufer, die Mittagshitze auf meinen Schultern, ich sehe den Jungen zu, diesen großen fröhlichen Fröschen, die ins Kühle springen und das leuchtende Grün noch in den Augen haben, wenn sie aus dem Wasser kommen.

Aus Blauschmuck

Genauso wie die Sprache schön ist, ist der Inhalt problematisch. Für mich war währenddessen ein einziger Trost, dass die Geschichte zwar auf einer wahren Begebenheit beruht, die Hauptperson die Erfahrungen jedoch der Autorin erzählen konnte und somit überlebt haben muss. Während der Lektüre war ich mir oftmals nicht so sicher, ob sie es schafft und wenn ja, wie.

Mich hat dabei sehr nachdenklich gemacht, dass in ihrem Umfeld in der Türkei nirgends auch nur ein klein wenig Liebe sichtbar wurde. Das kann natürlich daran liegen, dass sie nur wenig Kontakt zu unterschiedlichen Familien hatte, da die Frauen die Wohnungen nicht verlassen durften. Wenn es aber bedeuten würde, dass es der grossen Mehrheit der Frauen damals (und möglicherweise in manchen Ländern noch heute) so geht, stellt sich die Frage, wie so etwas passieren kann. Was muss geschehen, dass zahlreiche Menschen rund um die Uhr andere Menschen sowohl körperlich als auch seelisch aufs brutalste misshandeln? Wie kann eine Gesellschaft so etwas gut heissen?

Indem der Roman ausschliesslich aus der Perspektive des Opfers geschrieben wurde, fehlte mir komplett das Verständnis für (fast alle) anderen beteiligten Personen. Was geht in Yunus vor? In dessen Mutter? In den Nachbarn? Und nochmals: Wie kann eine Gesellschaft so funktionieren? Was muss passieren, dass den Menschen jegliches Mitleid fehlt – und zwar nicht nur Einzelpersonen sondern der grossen „Mehrheit“?

Nachts sickert die Angst in den Korridor, fließt durch die Wände, durch die nicht vorhandenen Schlüssellöcher und die Spalten unter den nicht vorhandenen Türen, wie Wasser in ein leckes Schiff, füllt den Korridor, steigt mir bis zum Hals. Ich kann nicht mit dem Kopf durch die Wand.

Aus Blauschmuck

Erschreckend war dabei auch, dass zu Beginn des Buches erzählt wurde, dass nur eine einzige Frau im Dorf keinen „Blauschmuck“ trägt. Diese wird von den anderen geächtet und Filiz wünscht sich schon damals, später auch einmal „blau geschmückt“ zu sein.

So eine Sichtweise auf die Welt kann ich mir fast nicht vorstellen. Aber ich bin ja auch behütet aufgewachsen, in einer tollen Familie, mit Zugang zu jeglicher Bildung, die ich mir wünschen konnte und das zugleich in relativ sicheren Ländern.

Durch die eindringliche Erzählweise wurde mir wieder bewusst, was wenig (resp. keine) Bildung mit Menschen anstellen kann und wie diese für uns offensichtliche Auswege nicht kennen oder nicht sehen (können). Trotzdem hat sich Filiz während dieser Zeit Stück für Stück weiterentwickelt und beginnt, nach einer Fluchtmöglichkeit zu suchen.

Jede Fantasie über mich gehört Yunus. Ich habe gelacht, meinen Mund aufgemacht und den Eingang in meinen Körper geöffnet, schamlos und weit, und auch den Eingang in meine Seele, denn ich habe meine Augen aufgeschlagen, das ist ein Fehler, jetzt kriecht sie auf mich zu, die Spinne, die nun meine Mutter ist, schwarz und dick kommt sie näher, umkreist mich und spinnt mich ein, sie spinnt und spinnt, und ich stehe still und stelle mich tot.

Aus Blauschmuck

Das Buch wirft viele Fragen auf. Was ist Wahrheit und was ist Fiktion? Ist es angemessen, grausame Handlungen so wundervoll poetisch zu beschreiben? Oder ist das gar die einzig richtige Art, mit so etwas umzugehen?

Was macht so ein Roman mit den Lesern? Welche Vorurteile werden dadurch geschürt, welche Ängste geweckt? Schafft er es, Gewalt gegen Frauen (oder Gewalt generell) ins Bewusstsein zu holen oder geht es nur um Gewalt im religiösen Kontext?

Ich habe keine Antworten gefunden – je länger ich mich mit dem Buch befasse, je tiefer ich darin eintauche, umso mehr Fragen tauchen auf.

Ich sitze vor dem Holzstoß in der Küche, suche die runden Scheite und schichte sie ganz nach oben. Rundes Holz macht blaue Flecken, kantiges zerreißt auch die Haut.

Aus Blauschmuck

Fazit

Das Buch ist erschreckend, packend und poetisch – für mich ist es eine klare Leseempfehlung, wenn Du es Dir zutraust, die Inhalte kritisch zu betrachten.

Hast Du das Buch gelesen und vielleicht schon Antworten auf manche der Fragen gefunden?

Das Buch wurde von mir selbst gekauft.

Dieser Artikel erschien auf www.eigenerweg.com / Fotos von mir selbst.

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One comment

  1. […] meine letzten gelesenen Bücher alle eher zur schweren Kost zählten (Blauschmuck, Schloss aus Glas, Der Tätowierer von Auschwitz), sehnte ich mich nach einer angenehmen und […]

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