Dieser Beitrag enthält eine Rezension (Rezensionsexemplar erhalten) und Links Mehr dazu hier.
Es gibt Bücher, die nicht sonderlich spektakulär sind. Statt dessen begeistern sie mit leisen Tönen. Ungewöhnlichen Charakteren. Und besonderen Augenblicken.
Der Sinn des Ganzen von Anne Tyler erscheint heute im Kein und Aber Verlag und war für mich ein vortrefflicher Lesegenuss.
Der Inhalt (gemäss Klappentext)
Micah Mortimer liebt Gewohnheiten, Selbstgespräche und eine ordentliche Wohnung. Jeden Tag beginnt er mit einem Morgenlauf um 7.15 Uhr, duscht, frühstückt und widmet sich anschließend geduldig den Computerproblemen seiner Kunden aus der Nachbarschaft. Nachmittags ist er im Nebenjob Hausmeister und kümmert sich um das Mietshaus, in dem er wohnt; ein paar Abende die Woche verbringt er auf der Couch seiner unkomplizierten Freundin Cass. Doch dann droht Cass die Wohnungskündigung, und sie möchte bei ihm einziehen. Und ein Teenager taucht auf, der behauptet, sein Sohn zu sein.
Meine Meinung
Ich bezweifle, dass mir Micah Mortimer im echten Leben auffallen würde. Er verbringt ein ziemlich unspektakuläres Leben, welches von seinen Routinen, wie zum Beispiel dem täglichen Putzkalender, beherrscht wird. Die Autorin schafft es dennoch, seine schrulligen Angewohnheiten irgendwie liebenswert wirken zu lassen. So wurde ich zwar kein begeisterter Fan von diesem Computerspezialisten – aber sein Wohlergehen war mir dennoch wichtig.
Aber das hier durfte jetzt nicht wahr sein!
Keiner der beiden Recyclingsünder hatte es für nötig befunden, seinen Karton flach zu drücken. Weder Ed Allen aus 1A noch Mr Lane aus 2B – Gesetzesbrecher, alle beide. Er legte den ersten Karton au f die Seite und trat darauf, ohne die Deckelklappen zu öffnen, trampelte einfach darauf herum, bis das Ding in sich zusammenkrachte. Stampf, stampf, stampf.
Aus „Der Sinn des Ganzen“
Ich fand es äusserst faszinierend, wie es der Autorin gelang, langweilige Details so zu beschreiben, dass sie plötzlich nicht mehr langweilig sind. Er wäscht einen Salat? Er fährt Auto? Er geht seinem Job als Computersupport nach? Durch Micas besondere Eigenheiten wirken all diese Aktionen überraschend interessant.
Die eigentliche Handlung beginnt jedoch erst mit der drohenden Wohnungskündigung von Cass sowie dem Teenager, welcher plötzlich auftaucht. Mica sieht sich gezwungen, aus seiner Routine auszubrechen und sich schwierigen sozialen Situationen zu stellen – was ihm dann allerdings eher leidlich gelingt und dafür sorgt, dass alles immer verzwackter wird.
Er ging zurück in die Küche und holte das Sieb aus dem Schrank, wusch eine Tomate unter dem Hahn, dann zwei Köpfe Eichblattsalt. „Eisch-blatt-salade!“, murmelte er mit dem besten französischen Akzent, den er zustande brachte. „Derr Eisch-blatt für den Sa-lade!“ Aber er war nicht mit ganzem Herzen dabei.
Aus „Der Sinn des Ganzen“
Sowohl Cass als auch ihre Familie und der Teenager werden sehr detailliert beschrieben – manchmal hatte ich das Gefühl, dass ihre Charaktere alle ein wenig zu sehr klischeebeladen und somit etwas zu vorhersehbar sind. Andererseits fiel mir dies erst nach der Lektüre auf, währenddessen haben mich auch die Überzeichnungen nicht gestört – selbst wenn sie manchmal ein klein wenig verrückt wirkten. Was sich mir jedoch bis am Schluss nicht ganz erschloss, war die Begeisterung vieler Frauen für Micah. Hier konnte ich eher mit ihm mitfühlen und nicht ganz verstehen, was an ihm denn so toll sein soll. Etwas mehr Einblick in die Gedankengänge der anderen Personen hätte hier wahrscheinlich geholfen.
Im Umgang mit Menschen kam es ihm manchmal so vor, als würde er einen Greifer bedienen, einen dieser Spielzeugautomaten an Strandpromenaden, mit denen man einen Preis zu grapschen versuchte, was jedoch fast nie gelang, weil sich die Kralle nur ungenau bewegen liess und man viel zu weit weg stand.
Aus „Der Sinn des Ganzen“
Wie bei allen Büchern aus dem Kein & Aber Verlag brilliert auch dieses mit einer besonders schönen Sprache – selbst wenn der Inhalt stellenweise eher ein angenehmer Frühlingswind und kein wirbelnder Orkan war, so war das Lesen doch immer Genuss pur. Dazu trug sicherlich auch die schöne Aufmachung (Leseband! Hardcover!) bei.
Fazit
Das Buch ist eine wunderschöne Lektüre für zwischendurch. Unaufgeregt, sanft, leicht amüsant und dann doch auch wieder berührend. Ich kann es Dir daher auf jeden Fall empfehlen.
Dieser Artikel erschien auf www.eigenerweg.com / Vielen Dank an den Verlag Kein & Aber für das Rezensionsexemplar. Fotos von mir selbst.