Dieser Beitrag enthält eine Rezension (Rezensionsexemplar erhalten) und Affiliate Links. Mehr dazu hier.
Bei manchen Büchern sind meine Erwartungen gar nicht mal so hoch. Das ist wie bei einem Vorspeisenplättchen im Urlaub, wenn kein Mensch im Restaurant sitzt und Du dieses nicht kennst. Du erwartest nichts grossartiges – warum auch?
Und dann beisst Du in das erst Stückchen und bist sofort hin und weg. Saftig und zart, perfekt gewürzt, genau die richtige Grösse… Aber wir schweifen ab – eigentlich wollte ich Dir heute von einem Buch erzählen. Bei „Das entzündete Gehirn“ von Dr. med. Kenneth Bock hatte ich keine grossen Erwartungen. Schliesslich habe ich weder viel Kontakt zu Jugendlichen, noch Bezugspunkte zu Angststörungen, Depressionen etc. Und nach der Lektüre? Ich kann kaum beschreiben, wie sehr mich das Buch vom Sockel gerissen hat – eine Erkenntnis nach der anderen war genauso faszinierend wie erhellend.
Der Inhalt
Vielleicht grundsätzliches gleich vorneweg: Schon im Untertitel schreibt der Autor „Die versteckte Ursache von Depressionen, Angststörungen und anderen psychischen Erkrankungen bei Jugendlichen verstehen und behandeln“. Dabei geht der Autor aber nicht nur auf Jugendlich ein; auch Kinder und Erwachsene können genauso gut von den Erkenntnissen profitieren.
Oftmals geht man ja davon aus, dass psychische Störungen einfach im Gehirn stattfinden und entsprechend gelöst werden müssen. Ich fand den Ansatz unglaublich spannend, dass es noch ganz viele weitere Gründe dafür geben könnte – unter anderem z.B. nicht behandelte Infektionen oder Autoimmunerkrankungen, welche schlussendlich zu entsprechenden Affektregulationsstörungen führen können.
Um den Bedürfnissen von Kindern mit neuropsychiatrischen Problemen wirklich gerecht zu werden, müssen wir die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass jedes Symptom durch ein komplexes Zusammenspiel von Ursachen bedingt sein kann, die medizinisch, neurologisch, psychiatrisch, gastrointestinal, umweltbedingt, genetisch, metabolisch, hormonell, ernährungsphysiologisch, autoimmunologisch oder infektionsbedingt sein können.
Aus „Das entzündete Gehirn“
Um ein bisschen besser zu verstehen, wie dies alles zusammenhängt, ist es notwendig, die Basics zum Immunsystem zu kennen. Daher widmet sich der Autor im ersten Kapitel auch nur dieser Thematik. Ich fand es dabei besonders toll, dass er zwar tiefer in das Thema einsteigt, als nur die klassischen Ratschläge (wie z.B. viel Bewegung und frische Luft) zu zitieren. Gleichzeitig beschreibt er die Abläufe jedoch so plastisch und fast ein bisschen humorvoll, dass ihm auch ein interessierter Laie ohne Problem folgen kann.
Dendritische Zellen überwachen das Epithel – die einzellige Aussenschicht der Haut und das Gewebe, das die meisten Körperhöhlen und Organe wie Lunge und Darm auskleidet, die Kontakt mit der Aussenwelt haben – auf mögliche Krankheitserreger und Antigene. Die dendritischen Zellen haben Tentakelchen. Damit schnappen sie sich Antigene, schleppen sie über das Epithel und präsentieren sie den B-Zellen und T-Zellen – zwei Arten von weissen Blutkörperchen, die Teil des adaptiven Immunsystems sind und ständig unter dem Epithel herumschwimmen.
Aus „Das entzündete Gehirn“
Auch das Zusammenspiel zwischen dem Darm und dem Immunsystem, dem Hormonsystem und dem Gehirn wird in einem separaten Kapitel erläutert. Dabei erfährst Du, was passieren kann, wenn diese Balance gestört wird und welche Auswirkungen dies konkret haben kann.
Ein normal laufendes Immunsystem ist grossartig; aber noch besser – und noch angenehmer – ist ein optimal laufendes Immunsystem, was nur möglich ist, wenn die Bedürfnisse Ihrer biochemischen Individualität erfüllt sind.
Aus „Das entzündete Gehirn“

Die nächsten Kapitel widmen sich anschliessend jeweils einem Gebiet:
- Infektionsbedingte autoimmune Hirnentzündung
- Borreliose, Bartonellose und andere durch Zecken übertragbare Krankheiten
- Hashimoto und andere Schilddrüsenerkrankungen
- Nebennierenfunktionsstörung und niedriger Blutzucker
- Allergien und Empfindlichkeiten
- Nährstoffmangel, Giftstoffe und Stoffwechselstörungen
Das klingt nun vielleicht alles ein wenig trocken. Der Autor verbindet die Kapitel jedoch immer mit zahlreichen Beispielen und schildert den Leidensweg seiner Patienten sowie deren Weg zur Heilung. Ich habe richtiggehend mitgefiebert, gebangt und gezittert – und konnte nachvollziehen, wie schwierig es für die Eltern sein mag, wenn ihr Kind plötzlich von einem Tag auf den anderen ein völlig fremder Mensch ist. Dass sich dahinter eine Erkrankung verstecken kann, welche heilbar ist und nur gefunden werden muss, ist tröstlich.
Nebst den Beispielen und ein wenig Theorie zu den einzelnen Erkrankungen wird der Autor aber auch sehr konkret. Er zählt z.B. auf, was die Anzeichen sein können, welche Tests durchgeführt werden müssen und wie die Behandlung aussieht. Natürlich können gewisse Dinge schon zu Hause verbessert werden (z.B. die Ernährung), es handelt sich aber nicht um ein Self-Help-Buch. Die meisten Tests müssen von Ärtzen durchgeführt werden und entsprechend auch die Behandlung von diesen verschrieben werden. Gleichzeitig kann es aber helfen, die Ärzte überhaupt einmal auf die richtige Spur zu bringen, sollten sie in diesen Bereichen nicht spezialisiert sein.
Aber vergessen Sie nicht, dass jeder von uns das Produkt einer einzigartigen Kombination aus genetischen, umweltbedingten, neurologischen, metabolischen, hormonellen, ernährungsphysiologischen und infektiösen Einflüssen ist. Was den einen aus der Bahn wirft, mag den nächsten überhaupt nicht stören. Die Welt muss kein bedrohlicher Ort sein, vor allem dann nicht, wenn Sie bei sich oder Ihrem Kind den Inhalt des Immunkessels kennen und sich entsprechend einstellen können.
Aus „Das entzündete Gehirn“
Ich war von diesem Buch restlos begeistert. Zu sehen, wie die Psyche mit dem Körper zusammenhängt und was unser Immunsystem eigentlich leistet war unglaublich spannend. Ausserdem hat es mir wieder einmal gezeigt, dass eine Erkrankung oder ein Symptom selten nur einen Auslöser hat, sondern ein komplexes Zusammenspiel zwischen unterschiedlichsten Einflüssen ist. Alles in allem kann ich Dir das Buch daher wärmstens empfehlen.
Dieser Artikel erschien auf www.eigenerweg.com / Vielen Dank an den riva Verlag für das Rezensionsexemplar. Fotos von mir selbst.