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Roman: Schloss aus Glas

Schloss aus Glas Rezension

Dieser Beitrag enthält eine Rezension (Selbst gekauft) und Links. Mehr dazu hier.

Ich mag Bücher mit komplexen Charakteren. Die feinen Grautöne zwischen tiefem Schwarz oder leuchtendem Weiss inspirieren zum Nachdenken und kreieren zahlreiche Fragen. Der autobiografische Roman Schloss aus Glas von Jeannette Walls gehört auf jeden Fall zu dieser Kategorie.

Der Klappentext

(Gemäss Amazon)

Jeannette Walls ist ein glückliches Kind: Ihr Vater geht mit ihr auf Dämonenjagd, holt ihr die Sterne vom Himmel und verspricht ihr ein Schloss aus Glas. Was macht es da schon, mit leerem Bauch ins Bett zu gehen oder in Nacht-und-Nebel-Aktionen den Wohnort zu wechseln. Doch irgendwann ist das Bett ein Pappkarton auf der Straße, und eine Adresse gibt es schon lange nicht mehr.

Meine Meinung

Zu Beginn klingt das Leben von Jeannette traumhaft. Sie übernachtet unter den Sternen, reist mit ihren Eltern quer durch das ganze Land und findet dazwischen zahlreiche Schätze – unter anderem glitzernde Steine, die Haut von Schlangen oder ab und zu einmal eine streunende Katze. Ihre Eltern wirken gebildet und weltoffen; Die Mutter liebt Kunst und ist selbst sowohl malerisch als auch schriftstellerisch unterwegs und der Vater kennt sich mit Physik aus und stellt geschickt die ungewöhnlichsten Dinge her.

Ich liebte die Wüste ebenfalls. Wenn die Sonne am Himmel stand, war der Sand so heiss, dass er dir die Füsse verbrannte, wenn du zu den Kindern gehörtest, die normalerweise Schuhe trugen, aber da wir immer barfuss liefen, waren unsere Fusssohlen so zäh und dick wie Leder. Wir fingen Skorpione und Schlangen und Krötenechsen. Wir suchten nach Gold, und als wir keins fanden, sammelten wir andere kostbare Steine wie Türkise und Granate.

Allerdings schleichen sich schon früh die ersten Misstöne in dieses bunte Bild. Einerseits lassen die Eltern ihren (schlussendlich 4) Kindern sehr viele Freiheiten und erziehen sie damit zu starken, eigenständigen Persönlichkeiten. Andererseits wirkt diese Erziehungsform schon am Anfang des Buches ziemlich lieblos und gleichgültig. So kocht die 3-jährige Jeannette bereits alleine am Herd. Selbst als sie sich dabei lebensgefährlich verbrennt (oder als sie später aus dem fahrenden Auto fällt oder die Schwester von einer Klapperschlange gebissen wird), ziehen die Eltern keine Konsequenzen aus ihrem Handeln und leben weiterhin sorglos vor sich hin. Dass diese Handlungen stark fahrlässig sind  und die Kinder nur durch sehr viel Glück überlebt haben, versteht sich von selbst.

Er hasste alle Menschen, die in klimatisierten Häusern mit fest verschlossenen Fenstern wohnten und in klimatisierten Autos zu ihren Achtstundenjobs in klimatisierten Bürogebäuden fuhren, die wiederum in seinen Augen nichts anderes als aufgetakelte Gefängnisse waren. Er brauchte diese Leute nur auf dem Weg zur Arbeit zu sehen, und schon wurde er richtig nervös und fühlte sich eingesperrt.

Die Autorin schafft es geschickt, in den ersten Kapiteln die Sicht der sehr jungen Jeannette zu schildern. Diese liebt ihre Eltern und vergöttert insbesondere ihren Vater, welcher verspricht, mit seiner eigenen Maschine Gold zu finden und ihr anschliessend ein Schloss aus Glas zu bauen. Im Verlaufe des Buches wird Jeannette älter. Ich bin mir nicht sicher, ob sie dadurch einfach einen realistischeren Blick auf ihre Eltern gewinnt oder ob sich diese tatsächlich von Jahr zu Jahr verschlimmert haben.

„Das Leben ist ein Drama voller Tragik und Komik“, sagte Mom zu mir. „Du solltest lernen, die komischen Episoden etwas mehr zu geniessen.“

Plötzlich wird auch den Kindern bewusst, dass ihr Vater nicht auf der Suche nach Gold ist, sondern einfach in den Wirtshäusern herumhängt und sich mit dem Familiengeld betrinkt. Anschliessend zerstört er die gesamte Wohnung und schlägt die Mutter. Diese erwähnt immer wieder, was für eine Last die Kinder für sie sind und kümmert sich entsprechend schlecht um diese. Ein sehr charakteristisches Beispiel dafür war, dass die Kinder fast verhungert sind und wirklich alles gegessen haben, das sie finden konnten (sogar Fleisch mit Maden). Im Gegenzug wurde die Mutter immer dicker, da sie heimlich Schokolade und andere Lebensmittel vor den Kindern versteckt hat. Solche Handlungen waren für mich unfassbar.

Es gab Schlägereien auf der Strasse, Messerstechereien in Kneipen, Prügeleien auf Parkplätzen, Frauen wurden verdroschen und kleine Kinder verhauen. Manchmal war es nur eine kleine Kabbelei, die im Nu wieder vorbei war, manchmal aber auch ein ausgemachter Boxkampf, mit Zuschauern, die die blutenden, schwitzenden Kontrahenten anfeuerten.

Richtig sprachlos hat mich jedoch der Umgang mit sexueller Belästigung von Kindern in diesem Buch gemacht. Diese Problematik zieht sich durch das ganze Buch und ich habe mich an dieser Stelle gefragt, ob das tatsächlich bei ärmeren Personen so ist (quasi, dass man sich bei diesen ja alles erlauben dürfe) oder ob sie einfach nur riesiges Pech hatten. Während der Vater die jüngeren Kinder noch verteidigt, nimmt er Jeannette als Teenager sogar als Lockvogel zu Pokerturnieren mit und nimmt in Kauf, dass sie dabei bedrängt wird. Auch die Reaktion der Mutter ist grauenvoll:

Mom fragte, ob mit mir alles in Ordnung sei. Ich zuckte die Achseln und sagte Ja. „Na, siehst du“, sagte sie. Mom erklärte mir, dass ein Verbrechen wie sexuelle Gewalt Wahrnehmungssache sei. „Wenn du nicht glaubst, dass du Schaden genommen hast, dann hast du auch keinen Schaden genommen“, sagte sie. „Es gibt eine Menge Frauen, die eine grosse Sache aus solchen Dingen machen. Aber du nicht, du bist stärker.“ Und sie widmete sich wieder ihrem Kreuzworträtsel.

Bald ist von dem Schloss aus Glas nichts mehr übrig und es handelt sich nur um eine arme Familie, welche halb verhungert in einer Bruchbude zwischen Müll und Ratten lebt. Ich fand es unglaublich bewundernswert, dass es drei der vier Kinder geschafft haben, sich ohne grössere psychische Schäden aus diesem Milieu zu befreien und später ein einigermassen normales Leben zu führen.

Interessanterweise wollten die Eltern nicht einmal zu diesem Zeitpunkt Hilfe von ihren Kindern annehmen und bevorzugten ein Leben auf der Strasse. Dabei wirkten sie nicht einmal unglücklich und genossen ihr Freisein.

Ich finde es eine Sache, wenn jemand so fern der gesellschaftlichen Zwänge leben möchte und selbst nächtliche Fluchten vor Geldeintreibern oder der Polizei als grosses Abenteuer ansieht. Diesen Lebensstil vier Kindern aufzuzwingen ist jedoch absolut verabscheuungswert. Insbesondere weil am Schluss herauskommt, dass die ganzen Jahre in Armut gar nicht hätten sein müssen. Was der Grund dafür ist, verrate ich Dir an dieser Stelle jedoch noch nicht.

Fazit:

Es lohnt sich auf jeden Fall dieses Buch zu lesen – einerseits wegen der wunderschönen Sprache. Jeannette hat ein Talent dafür, realistische Bilder in den Köpfen der Leser entstehen zu lassen. Andererseits hat mich die Zerrissenheit der Hauptperson sehr berührt. Es muss für sie unglaublich schwierig gewesen sein, ihre Eltern, welche einst ihre absoluten Idole waren, von Jahr zu Jahr mehr verwahrlosen zu sehen. Wie sie dagegen ankämpft und ihnen gleichzeitig kaum je einen Vorwurf macht, ist äusserst faszinierend. Schön ist zudem, dass Du gleich im ersten Kapitel erfährst, dass Jeannette ihre Kindheit überlebt hat – ansonsten wäre die Lektüre wohl deutlich stressvoller gewesen.


Das Buch wurde von mir selbst gekauft.

Dieser Artikel erschien auf www.eigenerweg.com / Fotos von mir selbst.

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